HEILIGE - FROMME - FRÖMMLER - SIMPLE MINDS

Copyright: Anand Buchwald, eMail: anand@Mirapuri-Enterprises.com

 

Farbige, Schwule, Raucher, Sex, Drogen, Religion, Sekten, Politik... Im Umgang mit solchen Themenbereichen kann man die Menschen grob und verallgemeinernd in vier auch zahlenmäßig sehr unterschiedliche Gruppen gliedern: Die Heiligen, die Frommen, die Frömmler und die Simple Minds (Wer weiß eine passendere Bezeichnung?????).

Die zahlenmäßig kleinste Gruppe sind die Heiligen. Das sind die Leute, die etwas verstanden haben, die das Wesen verstanden haben, die einen umfassenden Durchblick besitzen, die einer Sache den Stellenwert zuordnen können, der ihr zukommt, die Dinge in größerem Zusammenhang betrachten und aus verschiedenen Blickwinkeln. Es sind nicht die Menschen, die offiziell heiliggesprochen werden ­ diese gehören eher selten zu den noch über den Heiligen liegenden Erleuchteten, häufiger jedoch zu den Frommen und manchmal auch zu den Frömmlern. In einer Welt nur mit Heiligen gäbe es keinen Streit, keinen Haß, keinen Krieg, keine Mißverständnisse, keine sterbende Natur... sondern Harmonie, Liebe, Frieden, Freiheit, Verständnis, Gesundheit...

Die nächste Gruppe sind die Frommen. Das sind die Menschen, die in unserer jetzigen Entwicklungsstufe eigentlich für die Normalität stehen. Das sind die Leute, die kaum etwas erschüttern kann, die eine gewisse Festigkeit in ihrem Glauben oder ihrem Weltbild haben, oder in den Dingen, an denen sie sich orientieren. Diese Leute wissen in etwa, was sie sind und was sie nicht sind und erlauben sich auch ein von Lehrmeinungen abweichendes Urteil darüber, was machbar und sinnvoll ist, ohne sich dabei für unfehlbar zu halten. Sie sind eher undogmatisch und nicht von Ritualen abhängig. Sie haben das, was man gemeinhin den Gesunden Menschenverstand nennt. Beispiele sind Heterosexuelle, die sich in der Gegenwart von Schwulen nicht unwohl fühlen und auch sonst keine Probleme mit ihnen haben, einfach weil sie genau wissen, daß sie selbst nicht homosexuell sind, oder auch die Leute, die zwar christlichen Glaubens sind, aber nicht päbstlichen Glaubens, und trotzdem Spaß am Sex haben und Kondome oder Pillen benutzen. Eine fromme Welt wäre pragmatischer, zielstrebiger, von Gutwille und Fortschrittsdenken erfüllt, wenn auch nicht ohne Spannungen und Mißverständnisse, so doch mit der Bereitschaft, diese zu lösen und zu klären.

Die Stufe der Frömmler ist in dieser Stufenfolge zwar nicht die letzte Stufe, aber doch zweifellos die unangenehmste und leider auch dominierende, die allen anderen das Leben schwer macht. Die Frömmler sind die Ursache von Krieg, Streit, Selbstmord, Umweltverschmutzung, Innenweltverschmutzung, Überbevölkerung... Frömmler gibt es in einer Unzahl von Ausprägungen oder Fachrichtungen, z.B. die Puristen oder Dogmatiker, die Zurecht-Bieger, die Eingleisigen, die Faschisten, die Götzen-Frömmler... Die Welt der Frömmler zu ergründen oder auch nur halbwegs umfassend zu beschreiben wäre ein Buch für sich wert. Verallgemeinernd kann man sagen, daß ein Frömmler jemand ist, der einen engen Geist hat, ein von Scheuklappen beschränktes Gesichtsfeld. Er ist in der Regel unsicher, hat nicht genügend Ahnung von den Dingen und von sich selbst. Und wenn man es genau nimmt, will er manches wohl auch nicht wissen. Er verdrängt ein unterschwelliges Unwohlsein und ist innerlich unaufrichtig, denn Aufrichtigkeit würde bedeuten, sich mit den Untiefen und Ungereimtheiten der eigenen Person und dem Verhältnis zu anderen - auf manchmal auch schmerzhafte Weise - auseinanderzusetzen, sich also bewußt zu bemühen.

Er wird vielmehr getrieben von seinen meist unbewußten Trieben und von dem meist auch nicht viel bewußteren Versuch, einem außerhalb seiner selbst liegenden Ideal gerecht zu werden. Aus dieser Spannung zwischen eigenem unbekannten Innen und fremdem Außen erwachsen letztlich die meisten Frömmler. Manchmal ist auch die Persönlichkeit so unausgeprägt, daß der Formgebungsprozeß einer äußeren Instanz übergeben wird. Aus der diesen Persönlichkeiten eigenen Unsicherheit erwächst der faschistische Frömmler. Der Faschismus ist in unterschiedlicher Intensität und Ausprägung bei fast allen Frömmlern vorhanden. Die äußere Instanz, der sich die Frömmler anheimgeben, sind meist die Götzen Religion oder Politik und/oder Macht, aber auch das Geld und das Ansehen.

Das Problem mit den Frömmlern liegt darin, daß sie ihre inneren Konflikte mit Unmut nach Außen projizieren, daß sie sich gegen alles wenden, womit sie selbst in sich Probleme haben. So sind es bekannte Tatsachen oder Lebensweisheiten, daß etwa die homophoben Menschen deutliche schwule Anteile in sich tragen, daß Leute, die Probleme mit Sekten oder Andersgläubigen haben (dies bezieht sich jetzt nicht auf Gehirnwäsche-Sekten), in ihrem Glauben nicht gefestigt sind, daß die Leute, die immer betonen, daß man mit ihnen immer reden könne, am wenigsten bereit sind, ihre Meinung wirklich unter neuen Gesichtspunkten zu überprüfen. Und was steckt wohl hinter den diversen amerikanischen Correctness-Wellen?

Nun gibt es noch ein viertes Volk auf unserem Planeten, die große Masse, die Simple Minds (was nicht abwertend gemeint ist). Das sind einfache Menschen, ohne deutliche ausgeprägte Individualität, auch ohne Böswillen, die in den Tag hinein leben. Sie sind bereit, einiges mitzumachen und sind beharrlich und beständig in ihrem Wirken, das sowohl segensreich wie auch ohne Absicht zerstörerisch sein kann. Die Simple Minds von sich aus wollen keinen Krieg ­ aber sie machen jeden mit, der des Weges kommt. Wenn es nach den Simple Minds ginge, gäbe es keinen Fortschritt, nicht so sehr, weil sie dagegen sind, sondern mehr weil sie ihn nicht anstreben und nicht erarbeiten, und sie fühlen sich unwohl, wenn sich zuviel verändert und sie etwas nicht kennen, denn mit allem Neuen müßte man sich eigentlich auseinandersetzen, und das erfordert eine bewußte Bemühung. Dies ist neben der Frömmelei ein nicht unbedeutender Punkt bei der Entstehung von Fremdenhaß.

Man kann die Simple Minds bildlich gesprochen als formbaren Lehm betrachten. Diese Formbarkeit und diese Abneigung gegen das, was anders ist, hat schließlich über die Formgebung durch einen Frömmler samt frömmelnder Gefolgschaft zum Holocaust geführt.

Wenn man die Welt und das Geschehen auf ihr aus dem Blickwinkel dieser Einteilung betrachtet (es gibt natürlich auch andere Sichtweisen und Blickwinkel), so krankt sie vor allem an den Frömmlern, die die Arbeit der Frommen und Heiligen behindern und nur zu begierig darauf sind, ihren Einfluß auf die Simple Minds auszuüben. Vom Augenfälligen mal abgesehen, liegt die Tragik aber auch noch in einem anderen Punkt: Die Heiligen und Frommen entstehen nicht einfach nur so. Sie sind das Ergebnis einer bislang eher gequälten und mühsamen Entwicklung mit den Simple Minds als Ausgangspunkt und den Frömmlern als nächster Stufe. Die Frömmlerei ist eine notwendige Übergangsstufe, oder ist besser gesagt der Ausdruck der Zwischenstufe zwischen dem Simple Mind und dem Frommen. Der Wanderer zwischen den Stufen, oder um bei der kirchlichen Analogie zu bleiben, der Novize, der der Frömmler eigentlich idealerweise sein sollte, ist Ausdruck dafür, daß der Simple Mind begonnen hat, eine deutlichere Individualität auszuformen, und den Bereich der Unschuld und des Unwissens zu verlassen - er hat sich auf den Weg gemacht. Der allseits vorhandene Teufelskreis liegt nun darin, daß die unsicheren Frömmler am lautesten schreien (so wie auch die Hunde, die am meisten Angst haben am lautesten bellen), dabei die Frommen und vor allem die Heiligen übertönen und somit bei den Simple Minds am meisten Gehör finden, so daß sich mit Einsetzen der Individualisierung aus einem Simple Mind häufig ein nörglerischer, abweisender Frömmler bildet, statt eines Wanderers, eines Novizen, der weiß, daß er sich auf dem Weg befindet und daß er noch viel vor sich hat und sich an die Frommen wegen Hilfestellung wenden kann.

Das Leben auf dieser Welt wäre viel schöner und erfüllter, wenn es diesen Teufelskreis nicht gäbe.

Muß der unbedingt sein???

Die Fähigkeit der Erkenntnis bleibt doch jeder Stufe unbenommen, und außerdem, so muß man abschließend hinzufügen, sind die wenigsten Menschen Vertreter eines reinen Archetypen. Die meisten sind, wie alles in der Welt, Mischtypen mit variablen Anteilen. Sonst wäre die Welt wohl schon untergegangen. So bleibt noch ein wenig Hoffnung.

 

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